Mauerblümchen-Dasein

Mauerblümchen-Dasein

GT-Rezension zu Beethovens C-Dur-Messe Duderstadt von Michael Schäfer

Göttinger Vokalensemble und Hamelner Kammerchor St. Nikolai in der Duderstädter St. Servatiuskirche

Duderstadt. Eigentlich fristet Beethovens C-Dur-Messe im Konzertbetrieb ein Mauerblümchen-Dasein: Die kolossale (und kolossal schwierige) „Missa solemnis“ ist immer wieder einmal zu hören, doch ihre kleine Schwester aus dem Jahr 1807 kaum. Gegen diesen Trend hat sich Südniedersachsen in diesem Jahr gewehrt - nur kurze Zeit nach der Göttinger Aufführung mit der Jacobi-Kantorei brachte das Göttinger Vokalensemble zusammen mit dem Hamelner Kammerchor St. Nicolai dieses Werk heraus. Zur Abwechslung nicht in Göttingen, sondern in der Duderstädter Servatiuskirche - und, wie in Göttingen, kombiniert mit einer Symphonie von Beethoven, aber nicht mit der fünften, sondern mit der sechsten, der „Pastorale“.

Damit hören auch schon die variierten Gemeinsamkeiten auf. Denn in Duderstadt war die Musik von Beethoven in historischer Aufführungspraxis zu erleben: mit dem Ensemble „Schirokko“ aus Hamburg, dessen Repertoire-Schwerpunkt sonst eher im Barock angesiedelt ist.

Doch das ist überhaupt kein Nachteil, wie die „Pastorale“ gleich deutlich machte. Statt romantischer Wucht besitzt das Ensemble einen sehr farbigen, durchsichtigen Ton mit vielen warm timbrierten Anteilen. Dennoch ist es auch zu scharf akzentuierten, schmetternden oder hart grollenden Klängen fähig, wie die Gewitterszene in der „Pastorale“ eindrucksvoll bewies. Hier wirkt der Kontrast zu den entspannt-ruhigen Vogelrufen der Szene am Bach vielleicht noch stärker als im modernen Orchesterklang. Diese Kontraste arbeitete Dirigent Hans Christoph Becker-Foss ausgesprochen wirkungsvoll heraus, baute schöne Spannungsbögen und sorgte für ein ausgewogenes Klangbild.

Ganz anders ist die Grundstimmung der C-Dur-Messe. In ihr gibt es überraschend viel Jubel und Freude, verwandt mit der Hinwendung zum strahlenden Licht im Finale der in zeitlicher Nähe entstandenen Oper „Fidelio“. An dem feurigen Temperament, das diese Musik durchzieht, entzündete sich die engagierte Sangesfreude der sehr sorgfaltig vorbereiteten Choristen (für das Göttinger Vokalensemble zeichnete Andreas Jedamzik verantwortlich). Und auch Becker-Foss ließ in seinem Dirigat vielerorts das Feuer hell lodern. Vielleicht wäre hier und da zu Beginn längerer Steigerungen eine deutlicher zurückgenommene Dynamik vorteilhaft gewesen: Zwar wirkte das ChorFortissimo nirgends roh, aber zu viele ähnliche Höhepunkte nutzen sich in ihrer Wirkung ab, das könnte man sparsamer dosieren.

Sehr ausgewogen war das Solistenquartett zusammengestellt mit der in letzter Minute eingesprungenen souveränen Sopranistin lutta Potthoff, dem obertonreichen Alt von Juliane Sandberger, dem nur stellenweise etwas engen Tenor von Lothar Blum und dem wunderschön kultivierten Bass von Gotthold Schwarz. Den prasselnden Applaus hatten die Mitwirkenden vollauf verdient.

Autor: MICHAEL SCHÄFER, erschienen in: Göttinger Tageblatt (Magazin S. 13) am 27.06.2013