Zwischen Trost und Transparenz
Fein abgestimmtes Programm zwischen Frühbarock, Romantik und moderner Chortranskription
Es war ein Programm, das sein Publikum nicht schonte – und zugleich reich belohnte: Unter dem Titel »Und kehrt er einst heim…« stellte das Göttinger Vokalensemble am 23. November in der Kirche St. Albani ein fein austariertes Gefüge aus frühbarocker Andacht, spätromantischer Expressivität und moderner Chortranskription vor. Leiter Andreas Jedamzik, seit Jahren Garant für sorgfältig kuratierte Geistliche Musik in Göttingen, formte aus der heterogenen Werkauswahl einen inneren dramatischen Bogen, der die Idee von Abschied, Erinnerung und Heimkehr in verschiedensten historischen Brechungen sichtbar machte.
Zu Beginn stand die »Deutsche Litanei«, ein Werk, das der Forschung lange Kopfzerbrechen bereitete. Die Zuschreibung an Heinrich Schütz gilt mittlerweile als zweifelhaft, doch das Stück atmet dennoch jenen schlichten, innig gebundenen Ton, der mit dem Namen des Dresdner Hofkapellmeisters assoziiert wird. Jedamzik ließ das Ensemble in ruhigen Atemzügen phrasiert singen; die Klageformel kyrie eleison erschien hier weniger als Jammer, sondern als stille Gewissheit.
Der programmatische Sprung zu Alexander Zemlinsky war groß – und doch folgerichtig. Mit den Vokaltranskriptionen Clytus Gottwalds betrat das Ensemble jenes Klangterrain, in dem Stimme selbst zum orchestralen Medium wird. Gottwald, ein Erneuerer des Chorsatzes im 20. Jahrhundert, entwarf aus Liedern und Orchesterstücken vielfarbige Vokalgewebe, die höchste Intonationstreue verlangen. Das Vokalensemble bestand diese Herausforderung mit beeindruckender Ruhe. »Als ihr Geliebter schied« entfaltete sich als irisierender Schwebezustand zwischen Schmerz und Entrückung: Die Mittelstimmen modellierten die harmonischen Verschattungen, während der Sopran über feinen Dissonanzlinien zu leuchten begann.
Einen besonders intimen Moment boten die von Yannick Bode und der Sopransektion vorgetragenen Zemlinsky-Lieder »Das Mädchen mit den verbundenen Augen« und »Sie kam zum Schloss gegangen«. Der junge Göttinger Organist und Pianist spielte mit großer Sensibilität und ließ Zemlinskys spätromantische Harmonik glühen, ohne in Schwülste zu geraten. So entstanden kammermusikalisch konzentrierte Szenen, die den vokalen Gesamtklang des Konzerts reizvoll kontrastierten. Der Titelgeber des Abends, »Und kehrt er einst heim«, wiederum in Gottwalds vokaler Weitung, führte das Ensemble zurück in schimmernde Mehrschichtigkeit. Hier zeigte sich erneut Jedamziks Sinn für weit ausgespannte und zugleich schlüssig geführte Spannungsbögen.
Mit den »Musikalischen Exequien« folgte ein Werkkomplex, der Heinrich Schütz’ Rang als frühbarocker Meister der Affektausdeutung besonders eindrücklich belegt. Die Akustik von St. Albani, die den Klang in ein warmes, zugleich transparentes Licht taucht, erwies sich als ideal für dieses Concert in Form einer deutschen Begräbnis-Messe. Besonders hervorzuheben ist – nicht nur hier – das sensible Zusammenspiel mit Bjørn Steinhoff am Kontrabass, der dem Continuo eine tragende, dabei nie aufdringliche Erdung verlieh. Die Motette »Herr, wenn ich nur dich habe« gelang dem Ensemble mit sprechender Präsenz, und das abschließende »Canticum Simeonis« wurde zu einem Moment tiefen Friedens.
Zum Schluss wendete sich das Ensemble nochmals der spätromantischen Farbenwelt zu: Richard Strauss’ »Aus den Liedern der Trauer«, »Morgen!« und »Freundliche Vision« in Gottwalds Chortranskriptionen. Hier ließ Jedamzik die Stimmen weit atmen, ohne den emotionalen Gehalt zu überzeichnen. Vor allem das berühmte »Morgen!« im rein vokalen Gewand erhielt eine fast entrückte Helligkeit. So verband sich an diesem Abend vieles: historische Tiefe, stilistische Weite, ein wacher Ensembleklang – und eine Programmdramaturgie, die sich in ihrer stillen Konsequenz erst nach und nach offenbarte. Das Publikum dankte mit langem Beifall. Ein Konzert, das nachklingt.
Autor: Jan Hendrik Buchholz, erschienen in: kulturbuero-goettingen.de am 05.12.2025