Englische Chormusik in der Nikolaikirche
Ausdrucksstarke Vertonungen mittelalterlicher Lyrik und Lieder mit ausufernder Harmonik, vedische Hymnen und lautmalerische Shakespeare-Vertonungen bietet die englische Chormusik des 20. Jahrhunderts. Das Göttinger Vokalensemble präsentierte sie in der Universitätskirche St. Nikolai.
Göttingen. Im gotischen Gotteshaus mit seiner wunderbaren Akustik war am Sonnabend kaum noch ein Platz frei. Ganz in schwarz gekleidet und mit roten Schals um den Hals zog der 30-köpfige Chor ein. Ein abwechslungsreiches Programm hatte Leiter Andreas Jedamzik aus Hardegsen unter dem Motto Sacred & Profane, „heilig und profan“, zusammengestellt. So lautet der Titel einer Vertonung von acht Stücken mittelalterlicher Lyrik, die Benjamin Britten geschaffen hat.
Mit vier von Brittens Liedern begann der Abend. Das Spekturm reichte von leichter Folklore wie Lenten is come („Der Lenz ist gekommen“) bis zu tief religiösen Stücken wie St. Godric`s Hymn. Auch von der Art der Vertonung ähneln sich die ausdrucksstarken Lieder kaum.
Gemeinsam ist ihnen dagegen die starke formale Struktur, die sich etwa an die Fuge anlehnt. Das half dem Ensemble beim Singen der teilweise chaotischen Klangfolgen.
Eine größere Herausforderung hatten die Musiker dann in dieser Hinsicht bei zwei Stücken von Frederic Delius zu bewältigen. Die Harmonik des deutschstämmigen, aber in Deutschland wenig bekannten, englischen Komponisten ufert aus. Scheinbar unendlich fließt die Musik. Im zweiten Delius-Lied sorgte dann der Tenor, Sascha Herz, für den roten Faden.
Unter den Choralhymnen aus der Rig Veda, einem großen, zweistündigen Zyklus von Gustav Holst, wählte der Chorleiter vier Stücke aus. Holst hat eigens Sanskrit gelernt, um die Jahrtausende alten Anrufungen der Manifestationen des indischen Gottes Brahma ins Englische zu übersetzen.
Begleitet von Winfried Hummel an der Harfe trugen die 20 Frauen des Chores die dramatisch-sphärischen, Filmmusik ähnelnden Stücke vor. Die Sängerinnen bewältigten die langen Linien mit beeindruckender Kondition.
Den Holst-Hymnen ähnelte von den Tonleitern und Farben her das Instrumentalsolo, das Hummel sich aussuchte. Er spielte den ersten Satz von Paul Hindemith' Sonate für Harfe.
Anlässlich des 400. Todestags des englischen Dramatikers William Shakespeare gab es drei Vertonungen von Texten aus „Der Sturm“ und „Der Sommernachtstraum“ zu hören. Ralph Vaughan Williams hat sie 1951 als Auftragsarbeit für einen Chorwettbewerb verfasst.
Die Acht- bis elfstimmigen Stücke sind unglaublich lautmalerisch. „Die wolkenhohen Türme, die prächtigen Paläste, die hehren Tempel“ aus The Cloud-Capp´d Towers erscheinen vor dem inneren Auge des Zuhörers. Ein großartiges Konzert, für das es viel Applaus gab.
Autor: Von Michael Caspar, erschienen in: Göttinger Tageblatt am 19.01.2016