MAURICE DURUFLÉ: REQUIEM & MAX REGER: DER 100. PSALM | Projekt 2015

Konzertplakat: MAURICE DURUFLÉ: REQUIEM & MAX REGER: DER 100. PSALM

Termine

Sonnabend, 21. März 2015, 18 Uhr, Marktkirche Hameln
Sonntag, 22. März 2015, 17 Uhr, Marktkirche Hameln

Mitwirkende

Wiebke Lehmkuhl (Berlin), Mezzosopran
Hamelner Kantorei an der Marktkirche
göttinger vokalensemble
Kammerchor Berlin
Jenaer Philharmonie

Leitung: Hans Christoph Becker-Foss

zusätzliche Informationen

Zum Programm des nächsten Oratorienkonzertes von Hans Christoph Becker-Foss

«Muss es sein?»

«Es muss sein, es muss sein!»

Unter dem Motto „Der schwer gefasste Entschluss“ schrieb Beethoven diese Worte (mit Noten!) über das Finale seines Streichquartetts F-Dur op. 135. Was auch immer Beethoven meinte - die Worte passen zu unserem Frühjahrskonzert der Kantorei mit Musica Sacra des 20. Jahrhunderts. Eine Herausforderung für den Chor ebenso wie für unser Publikum. Warum es sein muss - dazu einige persönliche Bemerkungen.
Es muss sein, weil es sich um wirklich große Musik der Extraklasse handelt, weil die Kantorei-Beiträge zur Musik des 20. Jahrhunderts erweiterungsbedürftig sind und speziell Max Regers „100. Psalm“ der definitive Anstoß war für meinen Entschluss, Kirchenmusik zu studieren.
„Musik des 20. Jahrhunderts ist ‚moderne Musik‘, und die tue ich mir nicht an“… diese Reaktion wollen wir mit unserem nächsten Oratorienkonzert nicht provozieren. Es gibt allerdings Menschen, die meinen, dass unsere Chorkonzerte zu barock- oder romantiklastig seien und das 20. Jahrhundert weitestgehend ausgespart ist. Stimmt nicht ganz: Immerhin haben wir in den letzten Jahrzehnten mit Strawinskys „Psalmensinfonie“, Duruflés „Requiem“, Szymanowskis „Stabat Mater“ und Andrew Lloyd Webbers „Requiem“ Highlights der Sakralmusik des vorigen Jahrhunderts im Programm gehabt. Und doch: Es waren Ausnahmen. Das hat viele Gründe. Einer ist: Diese Musik ist enorm schwer und meist für Profi-Chöre komponiert. Ferner: die Aufführungskosten dieser Musik sind sehr hoch (Leihgebühr für Noten, Aufführungslizenzen) und: Ohne eine vollbesetzte Kirche wird ein solches Konzert zum Finanzdesaster…

Wir haben allerdings auch im Chor gemerkt: Es ist nach der Qual des „Notenfraßes“ eine höchst befriedigende Sache, solche Musik zu singen. Unser Hamelner Publikum ist uns auf unseren Ausflügen ins 20. Jahrhundert treu und freundlich bis begeistert gefolgt. Bei Webbers „Requiem“ gab es Menschen, die in beide Konzerte kamen und dann noch mit unseren Bussen nach Duderstadt fuhren, wo das Werk in der dortigen Stadthalle nochmals aufgeführt wurde. Dies alles abwägend, entstand der Plan, dass das 78. und letzte Oratorien-Konzert von Kantor Becker-Foss sich noch einmal ganz dem 20. Jahrhundert widmen will. Ich vertraue darauf, dass unsere Zielgruppe weiß: Seit 37 Jahren habe ich Musik, von deren Qualität ich nicht hundertprozentig überzeugt war, vermieden. Ich weiß auch von diesem Programm: Es sind großartige, tiefempfundene Werke von großer Ausstrahlung. Sie sind nicht der „Avantgarde“ verpflichtet, sondern basieren auf dem späten 19. Jahrhundert und dem Impressionismus. Als Besonderheit kommen kirchenmusikalische Standards wie der protestantische Choral und die einstimmige Musik des frühen Mittelalters („Gregorianik“ genannt) hinzu.

Max Reger (1873-1916) und Maurice Duruflé (1902-1986)

Die drei Werke der zwei Komponisten haben mit den beiden großen Weltkriegen des 20. Jahrhunderts zu tun. Um 1900 begannen viele Künstler zu ahnen, dass es einen gewaltigen Umbruch und eine enorme Katastrophe geben würde. Die politische Lage verdichtete sich unheilvoll, und 1914 - vor 101 Jahren - begann der Erste Weltkrieg. Nicht nur politisch stand man am Abgrund. Auch in der Kunst kam es zu nie geahnten Umwälzungen: Es entstanden abstrakte Bilder, Schönberg wagte den Schritt von der Spätromantik zur Atonalität der Zwölftonmusik, Richard Strauss komponierte mit „Elektra“ und „Salome“ Opern, die die Grenze zur Atonalität streifen.
Der Eindruck von Wagners „Parsifal“ in Bayreuth bewog MAX REGER, Komponist zu werden. Der auf den ersten Blick „grobe Klotz“ des Oberfranken mit gewöhnungsbedürftigem Humor besaß eine zarte Seele und war unendlich sensibel - was er nach Kräften zu verbergen suchte. Schon deshalb werden seine Vorbilder Bach, Mozart, Beethoven und Brahms nicht nur Ansporn, sondern auch „Pfahl im Fleisch“ gewesen sein: „Kann ich diesen Giganten gegenüber bestehen?“

Dem euphorischen Start mit seinen Studien beim berühmten Riemann folgte die erste Katastrophe: Der Zusammenbruch nach den Erlebnissen beim Militärdienst. Dann begann ein schizophrenes Leben. Reger wurde einer der berühmtesten Musiker seiner Zeit, zugleich regnete es Niederlagen ohne Ende: Erringen von bedeutenden Professuren, die immer nach kurzer Zeit wieder aufgegeben wurden: Die Kollegen waren zu konservativ (heute sagt man: Mobbing), oder es kam immer wieder zu gesundheitlichen Problemen. Auch der Lebenswunsch, die Meininger Hofkapelle zu leiten, war nach kurzer Tätigkeit als Hofkapellmeister beendet: Körperlicher Zusammenbruch. Der überzeugte und glühende Katholik ehelichte eine protestantische geschiedene Frau und wurde exkommuniziert. Die neue Wiener Schule (Schönberg, Webern, Berg) versuchte ihn auf ihre Seite zu ziehen, doch Regers Verehrung für seine Idole war zu groß, als dass er diesen radikalen Schritt zur Atonalität gehen wollte.
Während Reger Mühe hat, seiner Ängste und Befürchtungen Herr zu werden, ist das „Requiem“ von MAURICE DURUFLÉ von ganz anderer Faktur. Komponiert auf den Tod des Vaters, scheint Duruflé hier auch die Schrecken der beiden Weltkriege aufarbeiten zu wollen - der Zweite Weltkrieg war 1947 gerade einmal zwei Jahre vorbei. Doch es ist kein Aufschrei eines Verzweifelten, sondern ein wunderbar konstruiertes und wohlklingendes Werk eines Menschen, der seiner Sache sicher ist. Duruflé sagt - so verstehe ich dieses Werk - : Kriege müssen ein Ende haben, weil wir eine Perspektive für unser Ende haben: das ewige Leben. Jedenfalls klingt diese Trauermusik wesentlich friedvoller als Regers Jubel-Psalm. Fast meint man, dass diese 37 Jahre nach dem „100. Psalm“ entstandene Musik die ältere sein müsste. Das liegt einmal an der eleganten musikalischen Sprache, sodann an der Dominanz des gregorianischen Chorals, der alle Sätze des Werkes mehr oder minder stark prägt. Man merkt nicht, dass Duruflés Orchester wesentlich größer ist als das, was Reger bei seinem Psalm fordert (dort verwendet er die Besetzung von Beethovens 9. Symphonie). Duruflé benötigt seine vielen Musiker vor allem für subtilste Farben. Nur viermal werden große Ausbrüche zugelassen. Ansonsten ist die Musik eher leise - kein Satz endet im Fortissimo, alle neun Abschnitte verdämmern am Ende und schwinden ins Nichts. Was aber nicht „nichts“ ist, sondern das Eingehen in das Paradies, in das ewige Leben, das für uns auf der Erde lebende Menschen noch unsichtbar und undenkbar ist.

Max Regers „100. Psalm“ ist sein bedeutendstes oratorisches Werk. Die Uraufführung wurde vom Vorgängerorchester der jetzigen Jenaer Philharmonie musiziert. Die halbstündige Psalm-Vertonung ist eigentlich eine knappe viersätzige Chorsinfonie. Reger schuf mit der Verbindung von Wagnerscher Tristan-Chromatik und Einflüssen von Debussy und Ravel einen neuen Stil - noch der Spätromantik verhaftet, aber weit nach vorne schauend. Mitunter spürt man auch „wilhelminisches“ Pathos - so, wie viele Repräsentativ-Gebäude der Zeit um 1900 eine bedrohlich wirkende Pracht ausstrahlen und als „feste Burg“ wirken, um das unerfreuliche Zeitgeschehen auszuschließen. Der erste „hemdsärmelige“ Eindruck, den man von Reger gewinnt, täuscht. Seine Musik ist absolut ehrlich und zutiefst empfunden und spiegelt eben die Zerrissenheit seines Schöpfers.
Der Jubel des Textes bleibt Komponist, Mitwirkenden und Hörern sozusagen im Halse stecken. Weltlage und Psalm passen offensichtlich nicht zusammen. Aber Reger ergeht sich nicht in Selbstmitleid - er kämpft mit dem Text: Im ersten und letzten Satz gibt es hart errungene Ruhepunkte, die einem fast das Herz stehen lassen. Die berühmte Stelle im zweiten Satz „Erkennet, dass der Herr Gott ist“ ist eines der erschütterndsten Glaubensbekenntnisse, die jemals komponiert worden sind. Die Fröhlichkeit des dritten Satzes ist ansteckend, bei der Fuge stand Johann Sebastian Bach Pate. Nochmals scheint der tonale Boden wegzubrechen, dann wird die Fuge mit dem Luther-Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“ verknüpft - von einem Extra-Blasorchester gespielt. Das D-Dur-Lied zwingt die Harmonik in gängige Bahnen, und der hymnische Schluss ist einzigartig in der Oratorien-Literatur. Vier Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges entstand diese Musik des Suchens nach Glaubensgewissheit und nach Gottvertrauen in Zeiten, die viele Menschen verzweifeln ließen. Die Gewissheit, dass an Gottes Treue nicht zu rütteln ist, beherrscht das Ende des Werkes in grandioser Weise.
Nur zwei Jahre vor dem Ersten Weltkrieg entstand die Kantate „An die Hoffnung“ für Altsolo und Orchester über ein Gedicht von Friedrich Hölderlin. Stilistisch blieben Chromatik und impressionistische Klänge erhalten, aber die Textur ist durchsichtiger geworden. Auch hier führt ein Choral zum Ende: „Wenn ich einmal soll scheiden“ - Bachs Trauermusik auf den Kreuzestod Jesu in seiner „Matthäus-Passion“ ist voller Hoffnung.

Regers „Der 100. Psalm“ und Duruflés „Requiem“ sind für mich von ganz besonderer Bedeutung. Regers Psalm war mein erstes oratorisches Werk, das ich als Schüler im Bremer Domchor unter Leitung von Hans Heintze - meinem späteren Orgellehrer - mitsingen durfte. Ein unglaublicher Eindruck! Ich war überwältigt von der Qualität und Expressivität des Werkes und von der elementaren spirituellen Ausstrahlung, die Musik haben kann.
Duruflés Requiem führten wir 1987, ein Jahr nach Duruflés Tod, erstmals auf. Eine unvergessene Reise nach Ungarn (mit der ungarischen Erstaufführung des Werkes) schloss sich an.

Gänsehautmusik

Was erwartet Sie? Gänsehaut-Musik! Dramatische Eruptionen und lyrische Klänge vom Zartesten, was denkbar ist. Langweilig wird das Programm nicht werden, und „verständlich“ ist es ganz gewiss für jedermann!
Lassen Sie sich überzeugen, überzeugen Sie sich selbst! Drei (verschieden gestaltete) Einführungen sollen helfen, die Musik kennenzulernen. Wir würden uns freuen, wenn wir Sie begrüßen dürften! Vielleicht kommen einige mit Vorbehalten. Das macht nichts - ich denke und bin davon überzeugt, dass niemand das Konzert unberührt verlassen wird. Übrigens ist die Konzertdauer kurz: etwa 90 Minuten.

Karten-Vorverkauf: DEWEZET Ticketshop

Osterstraße 16, 31785 Hameln

T: 05151 / 200 888
F: 05151 / 200 218
E-Mail: ticketshop@dewezet.de

oder telefonisch bei Frau Kruse 05155-353

Einführungen in der Marktkirche Hameln

Donnerstag, 26. Februar sowie 5. und 12. März, jeweils 19:30 Uhr (90‘, freier Eintritt) mit Marktkirchen-Pastor Thomas Risel und Kirchenkreiskantor Hans Christoph Becker-Foss

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